Mannheim/Berlin, 17.4.2019: Im Klageverfahren zwischen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und dem Land Baden-Württemberg für die saubere Luft in Reutlingen liegt die schriftliche Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vor (10 S 1977/18). Darin stellt das Gericht klar, dass der Grenzwert für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid (NO2) nicht erst in 2020, sondern schnellstmöglich einzuhalten ist. Dafür erachtet das Gericht die Umsetzung von Fahrverboten für Diesel-Pkw unterhalb der Euro-Norm 5 noch in 2019 für zwingend erforderlich. Zudem bestätigt der VGH, dass die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) keine Auswirkungen auf die Frage der Einhaltung des EU-weit verbindlichen Grenzwerts von 40 μg NO2/m3 hat. Ferner betont der VGH, dass der NO2-Grenzwert aus Gesundheitsschutzgründen einzuhalten ist. Diskussionen über die Gesundheitsrelevanz ändern an der rechtlichen Verpflichtung zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung nichts.
Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die Urteilsbegründung ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die mit der Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im März den Eindruck erwecken wollte, dass damit Einfahrbeschränkungen für schmutzige Diesel-Fahrzeuge nicht mehr notwendig seien. Erneut hat ein Obergericht den für den Gesundheitsschutz verantwortlichen Regierungspolitikern auferlegt, sofort für die „Saubere Luft“ in unseren Städten zu sorgen. Die nun auch in Reutlingen angeordneten Diesel-Fahrverbote werden nur aufgrund des jahrelangen Betrugs des Dieselkartells der Automobilhersteller und eines politischen Versagens in der Luftreinhaltepolitik nötig. Unter den giftigen Dieselabgasen leidende Kinder, Asthmatiker, ältere Menschen und Lungenvorgeschädigte profitieren von dem klaren Urteil und können hoffentlich bald in Reutlingen eine „Saubere Luft“ einatmen. Wir brauchen auch und gerade im grün-schwarz regierten Ländle eine wirkliche Verkehrswende und als ersten Schritt eine komplette Hardware-Nachrüstung aller Betrugs-Pkw, die in Reutlingen einfahren. So kann auch die Mobilität der betroffenen Autofahrer bewahrt werden.“
In Bezug auf die Änderungen es BImSchG schreibt der VGH in seinem Urteil: „Der nationale Normgeber (…) muss den unionsrechtlichen Rahmen beachten und darf deshalb nicht unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unionsrechtlich geltende, dem Gesundheitsschutz verpflichtente Grenzwerte de facto aufweichen oder aushöhlen.“ Weiter bestätigt der VGH die Rechtsauffassung der DUH und verdeutlicht, dass für die vollumfängliche Einhaltung der europäischen Bestimmungen zu sorgen ist und daher „jede entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet“ bleiben muss. Die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist ein „klarer Verstoß“ gegen das Unionsrecht (Urteilsbegründung, S. 31 und 32).
Zudem verdeutlicht der VGH Mannheim, dass die Grenzwerte zum Schutze der Gesundheit einzuhalten seien: „Darüber hinausgehende individualisierende Fragen, wie viele Personen bei welcher Grenzwertüberschreitung konkret welchen erhöhten Krankheitsrisiken ausgesetzt sein könnten, kommt in diesem Zusammenhang ebenso wenig rechtliche Bedeutung zu wie der Frage, wie sich im konkreten Einzelfall die Situation vom Fahrverbot Betroffener darstellt.“
Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vertritt, sagt: „Das Urteil hat Grundsatzcharakter. Dies betrifft insbesondere die durch den Bundestag verabschiedete Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Eine Bundesregierung, die den Eindruck hervorruft, dadurch ändere sich etwas an der Rechtslage, führt die Menschen bewusst in die Irre.“