Deutsche Umwelthilfe identifiziert 1.111 Hot Spots mit gesundheitlich gefährlicher Konzentration des Dieselabgasgifts NO2 in 426 Städten

Deutsche Umwelthilfe veröffentlicht Ergebnisse der ersten eigenen bundesweiten Messaktion „Decke auf, wo Atmen krank macht“— Höchste Belastung der Luft im Februar in Berlin, Alsfeld, Stuttgart, Köln und Düsseldorf — 89 Prozent der 559 DUH-Messstellen zeigen gesundheitlich bedenkliche Belastungen der Atemluft mit dem Luftschadstoff Stickstoffdioxid (NO2) von über 20 µg/m³ — DUH führt amtliche NO2-Werte und Citizen Science Messergebnisse zur NO2-Belastung in einer ersten Gesamtdarstellung zusammen — Aufgrund mehrerer neutraler Studien über die Gesundheitsgefahren durch NO2 bei niedrigen Konzentrationen, fordert die DUH die Absenkung des NO2-Luftqualitätswertes der EU auf 20 µg/m³

Berlin, 22.3.2018: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat vom 1. Februar bis 1. März 2018 an 559 Messorten die Belastung der Atemluft mit dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) mithilfe von Passivsammlern gemessen. Die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation hat damit mehr als doppelt so viele verkehrsnahe neue Messorte untersucht, wie das behördliche Messnetz insgesamt aufweist. Die Ergebnisse zeigen eine erschreckend hohe NO2-Belastung der Atemluft. An 89 Prozent der Messorte wurden gesundheitlich bedenkliche NO2-Werte mit über 20 µg/m³ nachgewiesen. Die betroffenen Städte werden von der DUH aufgefordert, umgehend wirksame Minderungsmaßnahmen einzuleiten. Dabei müssen sie eine Unterstützung durch die Bundesregierung erhalten, die bislang ihre finanzielle Hilfe auf wenige Dutzend Städte mit amtlich festgestellten NO2-Grenzwertüberschreitungen begrenzt. Angesichts der aktuellen Studienlage ist zudem eine Absenkung des Jahresmittelwertes auf 20 Mikrogramm (µg) NO2 pro Kubikmeter (m³) erforderlich.

Insgesamt wurden bei der DUH-Messaktion 67 neue Hot Spots mit Überschreitungen des derzeitigen EU-Grenzwerts für NO2 von 40 µg /m³ identifiziert. An 181 Standorten wurden 30 bis 40 µg/m³ gemessen und 251 Standorte mit 20 bis 30 µg/m³. Nur an 60 Standorten lagen die NO2-Werte unter 20 µg/m³.

Tatsächlich sind die Belastungen sogar noch höher als im Februar 2018 von der DUH gemessen. Aufgrund des starken Kälteeinbruchs während ca. der Hälfte des Messzeitraums liegt der von den Passivsammlern ermittelte Wert ca. zehn Prozent unter dem tatsächlichen Wert. Das haben Referenzmessungen an den offiziellen Messstationen, der Vergleich mit den Februar-Messungen des Umweltbundesamtes (UBA) sowie die mit der Analyse betrauten Wissenschaftler des schweizerischen Analyselabors Passam AG bestätigt. Die DUH veröffentlicht die gemessenen Zahlen unverändert, da auch so die gesundheitlich problematische Belastung deutlich wird. Nur für 58 Messstellen, die NO2-Werte zwischen 35 und 40 µg/m³ ergeben haben, wird die DUH zeitnah Nachmessungen durchführen.

Auslöser der DUH-Messaktion „Decke auf, wo Atmen krank macht“ ist der ausbleibende Schutz der Bevölkerung in diesen Orten vor dem Luftschadstoff NO2. Außerdem hat Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet, die finanzielle Hilfe der Bundesregierung für die „Saubere Luft“ auf die Städte mit amtlich festgestellten Grenzwertüberschreitungen zu beschränken. Dabei umfasst das Netz der behördlichen verkehrsnahen Messstationen mit 147 überwachten Städten nur etwa ein Prozent der insgesamt 11.092 Städte und Gemeinden in Deutschland.

Um über das Ausmaß des Problems der Belastung unserer Atemluft mit dem Dieselabgasgift NO2 zu informieren, hat die DUH neben ihren eigenen Ergebnissen auch alle bereits öffentlich über das Umweltbundesamt zugänglichen amtlichen Messungen sowie Untersuchungen des Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Rundfunkanstalten rbb und SWR sowie des Vereins Green City aus
München in einer interaktiven Karte zusammengetragen. Das Ergebnis der Gesamtbetrachtung: 1.111 Messstellen in 426 Städten und Gemeinden zeigen gesundheitlich bedenkliche NO2-Belastungen der Atemluft mit Werten von über 20 µg/m³. An 350 Messstellen in 121 Städten und Gemeinden zeigen die Ergebnisse sogar Überschreitungen des NO2-Luftqualitätswerts von 40 µg/m³.

„Wir haben in Deutschland ganz offensichtlich ein flächendeckendes Problem mit giftigem
Stickstoffdioxid in unserer Atemluft. Ursache dafür sind vor allem die ungefilterten Abgase aus Dieselmotoren. Die neue Bundesregierung muss ihre Hilfe auf alle Städte und Gemeinden ausdehnen, die unter gesundheitlich bedenklichen NO2-Werten leiden, und nicht nur die wenigen Dutzend Städte mit amtlichen Messpunkten finanziell unterstützen“
, fordert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.

„Die Ergebnisse unserer Citizen Science Untersuchung zeigen selbst in vielen kleinen und mittelgroßen Gemeinden gesundheitlich bedenkliche Werte und Grenzwertüberschreitungen, die vergleichbar und im Einzelfall gar höher ausfallen als an bekannten Hot Spots der schmutzigen Metropolen Deutschlands. Kleinkinder, Asthmatiker, Lungenvorgeschädigte, Alte und Kranke werden hier buchstäblich im Dieseldunst alleingelassen. Die Kleinstadt Alsfeld in Hessen kämpft zum Beispiel mit einer Luftbelastung von 53.5µg/m³. Auch in Marburg, Esslingen und Aschaffenburg haben wir Werte von über 46µg/m³ gemessen. In allen Städten mit gesundheitlich bedenklichen NO2-Belastungen müssen die Behörden handeln und notfalls mit Diesel-Fahrverboten die ‚Saubere Luft‘ für ihre Bürger durchsetzen“, so Resch weiter.

Aktuelle Studien verschiedener Behörden und von der Industrie unabhängiger Institute zeigen, dass bedenkliche Gesundheitsschäden bereits ab einer Belastung von 20µg NO2/m³ auftreten. Besonders für Kinder, Schwangere sowie ältere Menschen ist diese Belastung gesundheitsgefährdend. „Daher fordern wir nicht nur dringend die Einhaltung der seit 2010 verbindlich geltenden Grenzwerte von 40µg/m³, sondern auch eine schnellstmögliche Absenkung des Grenzwerts auf 20µg/m³. Selbst die Schweiz hat mit 30 µg/m³ bereits seit 1986 einen strengeren Luftqualitätswert als die EU“, so Resch weiter.

In ihrem jährlichen Bericht über die Luftqualität in Europa und die daraus resultierenden
Gesundheitsschäden hatte die Europäische Umweltagentur EEA im Herbst 2017 die gesundheitlichen Folgen der NO2-Verschmutzung mit jährlich 12.860 vorzeitigen Todesfälle allein in Deutschland beziffert. Auch das Umweltbundesamt hat mit seiner am 8. März 2018 veröffentlichten Studie zu den Gesundheitsfolgen der NO2-Belastung unserer Atemluft davor gewarnt, dass schon bei Konzentrationen deutlich unterhalb des Grenzwertes jährlich über 800.000 Atemwegs-, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes sowie 6.000 vorzeitige Todesfälle zu verzeichnen sind.

Um die bundesweite Datenlage weiter zu verbessern, plant die DUH eine zweite Messaktion für ungefähr 500 Orte in Deutschland im Juni 2018. Wie schon bei der ersten Mitmachaktion können Bürger Straßenabschnitte in ihrer Gemeinde mit einer besonders hohen Luftverschmutzung über die Internetadresse www.duh.de/abgasalarm melden.

Hintergrund:

Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig vom 27. Februar 2018 zur Rechtmäßigkeit von Diesel-Fahrverboten bereiten erste Städte wie Hamburg Fahrverbote ab April 2018 vor. In den laufenden Gerichtsverfahren der DUH in derzeit insgesamt 19 Städten mit deutlichen Grenzwertüberschreitungen rechnet der Umwelt- und Verbraucherschutzverband mit vielen weiteren Diesel-Fahrverboten ab Herbst dieses Jahres für Diesel schlechter als Abgasstufe Euro 5. 40 weitere stark belastete Städte bzw. die für die Luftreinhaltung zuständigen Länder wurden zwischenzeitlich von der DUH aufgefordert, die Grundsatzentscheidung des BVerwG Leipzig nun umzusetzen. Zuletzt hatte die EU-Kommission im Laufe des Vertragsverletzungsverfahrens von der Bundesregierung wirksame Maßnahmen eingefordert und eine kurzfristige Entscheidung über die Klageerhebung der EU gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshofs angekündigt.

Die DUH wird noch diese Woche die zuständigen Landesbehörden über die Ergebnisse der NO2-Hot Spot-Messungen informieren und umgehend Maßnahmen zur Absenkung der gesundheitlich bedenklichen NO2-Belastung sowie die Einführung amtlicher Messungen fordern. Von der Bundesregierung fordert die DUH die Ausdehnung des „Sofortprogramms für Saubere Luft“ auf alle Städte und Gemeinden mit gesundheitlich bedenklichen Werten, d.h. oberhalb von 20 µg/m³. Aus Sicht der DUH kann es nicht sein, dass die Bundesregierung nur den Städten und Gemeinden hilft, die eine amtliche verkehrsnahe Messstation haben. Um die notwendigen Diesel-Fahrverbote auf möglichst wenige Fahrzeuge zu beschränken, muss die Bundesregierung sicherstellen, dass schnell eine wirksame technische Nachrüstung aller Diesel der Abgasnorm Euro 5+6 auf Kosten der jeweiligen Hersteller im Rahmen eines amtlichen Rückrufs erfolgt.

Links:

Kontakt:

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch@duh.de

DUH-Pressestelle:

Andrea Kuper, Ann-Kathrin Marggraf
030 2400867-20, presse@duh.de

Hintergrundpapier Messaktion Abgasalarm


Ein Projekt von
Partner: Deutsche Umwelthilfe
Partner: Frank Bold
Finanziert durch
Partner: Life

Subscribe to our newsletter