Urteil für „Saubere Luft“ in Berlin zieht weitere Straßen und Stadtautobahn A100 für Fahrverbote in Betracht – Bundesregierung muss Blockadehaltung gegen Hardware-Nachrüstung aufgeben

Schriftliches Urteil des VG Berlin zeigt: Prognose des Senats nahe der A100 macht Diesel-Fahrverbote auch für Teilabschnitt der Stadtautobahn ab 2019 wahrscheinlich – Für die vom Gericht verlangten streckenbezogenen Diesel-Fahrverbote müssen Verbotszonen in Betracht gezogen werden, um hohe NO2-Belastung durch Ausweichverkehre zu vermeiden – Richter machen klar: NO2-Grenzwerthochsetzung auf 50 μg /m³ durch die Bundesregierung ist EU-rechtswidrig – DUH Geschäftsführer Jürgen Resch zieht Fazit nach der 5. Sitzung der Expertengruppe 1 zur Diesel-Nachrüstung: Durch Autolobby ferngesteuerte Bundesregierung verhinderte seit Dezember 2017 das Zusammentreffen der Expertengruppe, dadurch ging wertvolle Zeit für die Umsetzung von Hardware-Nachrüstung bei Betrugsdieseln verloren

Berlin, 20.11.2018: In dem Klageverfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Land Berlin (VG 10 K 207.16) für „Saubere Luft“ in der Hauptstadt liegt die schriftliche Urteilsbegründung der Entscheidung vom 9. Oktober 2018 vor. Diesel-Fahrverbote müssen demnach auf allen Straßen geprüft werden, auf denen der Grenzwert überschritten wird, und damit auch auf einem Teil der Stadtautobahn A100 in Charlottenburg. Auch für weitere Straßenabschnitte muss bis Ende März 2019 ein Diesel-Fahrverbot geprüft werden. Zudem müssen partielle Verbotszonen geprüft werden, wenn Ausweichverkehre bei streckenbezogenen Fahrverboten von Diesel-Pkw nicht anders beherrschbar sind.

„Das Berliner Verwaltungsgericht hat sich sehr gründlich mit dem Problem der mit dem Dieselabgasgift NO2 belasteten Stadtluft beschäftigt. Als Folge der von der DUH aufgedeckten und durch das Gericht bestätigten zu niedrig angesetzten Belastungswerte im Berechnungsmodell des Senats, wird es über die bisher bekannten acht Streckensperrungen für Diesel-Fahrzeuge einschließlich Euro 5 eine Reihe weiterer Fahrverbote – auch auf der Stadtautobahn A100 – geben müssen“, sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.

„Es ist gut und wichtig, dass das Gericht in der aktuellen Debatte über angeblich unbedenkliche NO2-Werte oder falsch aufgestellte Messcontainer den Gesundheitsschutz der an den Straßen wohnenden Menschen ausdrücklich bestätigt. Wir erleben einmal mehr, wie Gerichte unsere Demokratie vor einer Bundesregierung schützen, die Recht und Gesetz ignoriert und den betroffenen Berliner Besitzern von Betrugs-Diesel-Pkw keinerlei Hilfestellung bei der Hardware-Nachrüstung gewährt, weil sie Berlin nicht als „Intensivstadt“ einstuft. Die in der Urteilsbegründung bewertete EU-Rechtswidrigkeit der in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett beschlossenen Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die immer unverblümter Politik gegen Umwelt und Gesundheit und für die Profitinteressen der Dieselkonzerne betreibt“, so Resch weiter.

Das Gericht bewertete die beabsichtigte Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) in seinem schriftlichen Urteil eindeutig als rechtswidrig. Es sei nicht zulässig, dass der Grenzwert, wie von der Bundesregierung mit der Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geplant, durch eine Umdeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf 50 μg/m³ heraufgesetzt wird. Der Grenzwert von 40 μg/m³ sei ohne Toleranzmarge einzuhalten. Zudem verstoße das Vorhaben der Bundesregierung, Diesel-Fahrverbote in der Regel erst dann in Betracht zu ziehen, wenn die Grenzwertüberschreitung bei mindestens 50 μg/m³ liegt, gegen höherrangiges europäisches Recht und gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die Gesetzesänderung sei somit rechtswidrig.

Wesentlich ist und bleibt somit die Einhaltung des EU-weit gültigen Grenzwerts für Stickstoffdioxid (NO2) im Jahresmittel von 40 μg/m³. Alle Prognosen müssen diese Zielmarke erfüllen – somit müssen 117 weitere Straßenabschnitte in Berlin auf die Grenzwerteinhaltung in der Fortschreibung des Luftreinhalteplans fristgerecht bis Ende März 2019 geprüft werden. Ist eine Einhaltung des Grenzwerts nicht nachweisbar, sind auch an weiteren Straßen Diesel-Fahrverbote bis 30. Juni 2019 einzuführen. Dies wird insbesondere die Stadtautobahn A100 betreffen, wie neu aufgetauchte, bisher vom Berliner Senat nicht vorgelegte Belastungsrechnungen für an die Stadtautobahn angrenzende Wohnbebauungen zeigen.

Das Gericht macht außerdem deutlich, dass NO2-Grenzwertüberschreitungen im Umkreis von streckenbezogenen Fahrverboten zu vermeiden sind. Um belastende Ausweichverkehre zu vermeiden, müssten vom Senat „Verbotszonen“ in Betracht bezogen werden.

Rechtsanwalt Peter Kremer, der die DUH in dem Verfahren vertritt, ergänzt: „Das schriftliche Urteil macht deutlich, dass streckenbezogene Fahrverbote immer verhältnismäßig sind. Damit widerlegt das Urteil die Äußerung von Senatorin Regine Günter, die dies für die Autobahn rundweg verneint hat. Der Senat kann nicht länger abwarten – die Einhaltung der Grenzwerte ist im Juli 2019 zu garantieren und ständig zu überprüfen. Fällt diese Überprüfung negativ aus, müssen auch weitreichendere Diesel-Fahrverbote als derzeit bekannt, ausgesprochen werden, gerade auch an der hochbelasteten Leipziger Straße.“

Zudem betont das Gericht, dass Diesel-Fahrverbote das größte Minderungspotential zur Senkung der NO2-Belastung aufweisen. „Wir erstreiten nicht ohne Grund ein Urteil nach dem anderen für Diesel-Fahrverbote. Während die Gericht die Notwendigkeit erkannt haben, endlich wirkungsvolle Maßnahmen einzufordern, um den seit 9 Jahren geltenden Grenzwert einzuhalten, versucht die Bundesregierung weiterhin, die Grenzwerte in Frage zu stellen oder sie künstlich nach oben zu setzen“, kritisiert Resch.

Die Erfahrungen in der Expertengruppe I des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) zur technischen Bewertung von Diesel-Nachrüstungen, an der DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch teilnimmt, belegen, wie groß der Einfluss der Dieselkonzerne auf die Bundesregierung ist.

Dazu Resch: „Die Ankündigung der Bundeskanzlerin im Dezember 2017, die Entscheidung über Art und Umfang von Hardware-Nachrüstungen von Betrugs-Diesel-Pkw auf Basis des Ergebnisses der Arbeit der Expertengruppe 1 im BMVI zu treffen, führte absurderweise dazu, dass diese Expertengruppe elf Monate lang nicht zusammentreten durfte. In dieser Zeit erhielten die Mitglieder der Expertengruppe immer neue Entwürfe eines im Wesentlichen von Beamten des BMVI geschriebenen Abschlussberichts, mit dem Hardware-Nachrüstungen als zu teuer oder technisch zu aufwändig dargestellt wurden. Das ursprünglich von Prof. Wachtmeister Ende 2017 abgelieferte Gutachten über die technische Machbarkeit und Finanzierbarkeit von Hardware-Nachrüstungen war den Dieselkonzernen ein Dorn im Auge, da es ihren Zielen widersprach.“


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